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Flüchtlingskrise – von GrünInnen, Kellernazis, Kurz und uns

Diesen Text haben wir ursprünglich im Juli 2017 verfasst.  Neun Monate sind seit dem vergangen. Ein Wahlkampf, eine Regierungsbildung und 100 Tage türkis-blaue Bundesregierung später, ist er richtiger und wichtiger denn je:

Die Flüchtlingskrise und ihre Folgen dominieren schon lange die österreichische Innenpolitik und werden auch den kommenden Wahlkampf dominieren. Kaum ein anderes Thema wird derzeit so kontrovers diskutiert. Es scheint niemanden kalt zu lassen und jeder hat eine Meinung dazu. Wir auch!

Die Diskussion erscheint uns von drei Stereotypen geprägt, die wir im Folgenden bewußt überzeichnet darstellen:

Der Typ naiv humanistische GrünIn. Er sieht in einem Flüchtling in erster Linie ein Opfer. Einen guten Kerl, der im Herzen einer von uns ist und auch nur sein Glück und ein gutes Leben sucht. Fremde Kulturen sind immer super spannend und eine Bereicherung für unsere Gesellschaft, die dadurch bunter und offener wird. Negative gesellschaftliche Auswirkungen werden von ihm ignoriert. Flüchtlingshilfe wird zum Lifestyle. Der Flüchtling selbst zum Refugee, den man zum Essen bei Freunden mitnimmt oder der für einen lecker orientalisch kocht.

Der Typ Kellernazi. Er ist traditionell xenophob. Ausländerfeindlichkeit ist bei ihm ein Kulturgut. Für ihn stehen fremde Kulturen mit der unseren grundsätzlich im Konflikt und passen nicht zu uns. Er sieht unsere Kultur einerseits schon von innen durch Verweichlichung und Dekadenz bedroht und empfindet andere Kulturen – vor allem die islamisch geprägten – als aggressiv und fürchtet, sie könnten unsere Schwäche ausnutzen. Er sieht in jedem Flüchtling einen potentiellen Gewalttäter und Islamisten, schlicht den Barbaren. Echte Flüchtlinge gibt es für ihn nicht. Er sieht nur Menschen, die in ihren Länder nichts erreicht haben und sich nun zu uns ins gemachte Nest setzen und es sich bei uns auf unsere Kosten mit unseren Frauen gemütlich machen wollen. Er selbst sieht sich als denjenigen, der hart schuftet, um das Essen auf den Tisch zu bringen, das er jetzt mit ungebetenen Gästen teilen muss. Für ihn ist das Boot voll!

Der Typ “Sebastian Kurz”. Er gefällt sich als Pragmatiker. Er sucht nach lokalen Lösungen für einen globalen Konflikt und denkt, dass das gelingt. Ein guter Deal für Österreich ist für ihn möglich und ausreichend. Für ihn kann Humanismus und Nächstenliebe monetär bewertet werden: Flüchtlingshilfe wird zu einem Luxus erklärt, den man sich leisten können muss und den sich Österreich nicht mehr leisten kann. Für ihn kann Flucht aus Gründen des wirtschaftlichen Elends nicht akzeptiert werden, denn in seinen Augen ist dieses Elend ja hausgemacht. Die Globalisierung hat für ihn keine Schattenseiten und er findet, es wäre ein Fehler zu glauben, dass der Wohlstand der Einen mit der Armut der Anderen was zu tun hätte.

In diesen drei Stereotypen mag sich der ein oder andere selbst wiedererkennen, oder vielleicht Freunde oder Bekannte. Wer davon hat nun recht? Unserer Meinung nach keiner. Denn alle drei Positionen machen denselben Fehler: Sie vermischen drei Themen:

1. Ursachen und Motive von Flucht und Migration
2. Wirtschaftliche Auswirkungen von Flucht und Migration
3. Gesellschaftliche Auswirkungen von Flucht und Migration

1.

Jeder Mensch hat das Recht auf Flucht vor Krieg, Terror und politischer Verfolgung. So ist es in der Genfer Konvention abgebildet. Und diese Grundhaltung – vor dem Leid und dem Elend anderer Menschen nicht die Augen zu verschließen – ist einer der gelebten Werte von uns Europäern. So lange ist es noch nicht her, dass viele Europäer selbst in Massen vor Krieg und Diktatur geflohen sind. An der Genfer Konvention will erfreulicherweise auch (noch) niemand rütteln. Sie gilt als in Stein gemeisselt, auch wenn sie für das Einzelschicksal immer den Charakter eines Urteils hat. Und Urteile können sich für den Betreffenden einerseits sehr willkürlich anfühlen und – das darf man nicht leugnen – können auch mal recht willkürlich zustande kommen, gerade wenn die Fakten rar oder umstritten sind.

Die, die aber keine Flüchtlinge nach Genfer Konvention sind, die stehen mittlerweile im Fokus. Wirtschaftsflüchtlinge nannte man sie, Wirtschaftsmigranten sagt man jetzt. Das ist paradox, denn Wirtschaftsmigration ist einerseits innerhalb von Österreich und der EU dezidiert erwünscht und wird von bestimmten Kreisen der Wirtschaft eingefordert: Wer Arbeit sucht, der sollte auch dorthin gehen, wo es Arbeit gibt.  Das nennt man dann Mobilität. Wer aber aus einem Nicht-EU-Land zu uns kommt, um sein Glück zu suchen, muss damit rechnen, nicht willkommen zu sein. Das bezeichnet man dann als Migration, meistens sogar als illegale Migration.

Bevor wir über einen Menschen urteilen, der aus wirtschaftlichen Motiven sein Land verlassen will, sollten wir die wirtschaftliche Misere vieler armer Länder realistisch betrachten. Dabei dürfen wir nicht blind sein für die Aus- und Nachwirkungen der europäischen Kolonialherrschaft. Und wir dürfen nicht naiv sein und glauben, dass in einer globalisierten Welt alle Länder die gleichen Chancen haben. Die dominierende, neoliberal-kapitalistische Wirtschaftsordnung, sprich die Globalisierung,  beruht auf struktureller Ausbeutung. Der Reichtum der einen Länder gehört genauso zwangsläufig dazu wie die Armut der anderen Länder. Bewegungsfreiheit gibt es in diesem System hauptsächlich für das Kapital. Es soll dahin fließen können, wo es am dringendsten benötigt wird, sprich der Profit am größten erscheint. Diese Bewegungsfreiheit gilt für die meisten Menschen in den Nicht-Industrieländern aber nicht. Doch da sich auch die Information frei bewegt, werden es diese Menschen dem Kapital gleichtun, ob wir wollen oder nicht. Auch wenn wir sie nicht willkommen heißen, sondern als Wirtschaftsmigranten und Glückssucher diffamieren, werden sie sich auf den Weg machen.

Die Idee, dass uns Staatschefs in den “Post”-Diktaturen Nordafrikas auf ihrem Staatsgebiet Flüchtlingslager (Verzeihung, Hot Spots) errichten lassen, die sie dann selbst organisieren und verwalten müssen und in denen wir Europäer dann entscheiden können, wen wir nach Europa lassen und wen sie behalten können, ist mindestens so zynisch wie dämlich und eines Außenministers nicht würdig. Was wäre denn das für eine Zukunftsperspektive? Auffanglager, die sich entlang der Küste durch ganz Nordafrika ziehen? In denen die Unerwünschten ihr Dasein fristen, da sie nirgendwo hin zurückkehren können? Und in denen weitere Generationen an Unerwünschten geboren werden?

2.

Die vom Neoliberalismus geprägte, angebotsorientierte Politik der EU bzw. ihrer Mitgliedsländer, die die Finanz- und Bankenkrise ermöglicht hat, bestimmt weiterhin unseren Alltag. Die Folgen sind fehlendes Wachstum, anhaltend hohe Arbeitslosigkeit, zunehmende Ungleichheit und Verarmung v.a. der unteren Schichten. Der stetige Angriff auf Arbeitnehmerrechte, der fortschreitende Sozialabbau und der zunehmende Leistungsdruck verunsichert aber den Großteil der Bevölkerung und die Angst vor sozialem Abstieg ist für viele Realität. Es wird uns konstant eingeredet, dass die fetten Jahre vorbei seien und wir den Gürtel enger schnallen und uns mehr anstrengen müssten, um nicht die Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren und abzusandeln.

Dieses System schürt geradezu die Ablehnung von Fremden: Wie soll die europäische Wirtschaft, die ohnehin schon Millionen Arbeitslose zählt, nun neu ankommende, teils völlig bildungsferne Menschen beschäftigen können, gerade wenn Menschen mit geringer Bildung schon jetzt überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen sind? Diese Neuankömmlinge werden lediglich mit uns um den knappen Kuchen am Arbeitsmarkt konkurrieren können. Oder sie bleiben abhängig von staatlichen Leistungen, was nach der herrschenden Meinung den Druck auf die Staaten erhöht, weiter sparen zu müssen, was wiederum alle betrifft.

Die dominierende europäische Wirtschaftspolitik ist eine ideologische Sackgasse, die ihr Versprechen von Wohlstand für immer mehr Menschen nicht erfüllen kann.  Es besteht in Europa jetzt schon ein unausgesprochener Verteilungskonflikt: Zwischen Besitzenden und Besitzlosen, zwischen Norden und Süden, zwischen Steuerzahlern und Steuerflüchtlingen und ja – zwischen Arbeit und Kapital. Diesem Konflikt müssen wir uns endlich stellen!

3.

Wie soll die gesellschaftliche Integration gelingen?
Wir  wollen eine offene, demokratische, pluralistische, moderne Gesellschaft in der alle Menschen die gleichen Rechte und Chancen haben, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, sexueller Orientierung, religiöser/philosophischer/politischer Einstellung, etc. Dies bedeutet aber nicht blind zu sein für die Antagonisteneiner solchen Gesellschaft. Dieses Gesellschaftsbild wird bedroht von Migranten, die nur unter sich bleiben wollen, an überwunden geglaubten Familienbildern festhalten wollen oder gar alle Rechte und Gesetze der Religion unterordnen wollen.  Dieses Gesellschaftsbild wird aber genauso bedroht von sog. Einheimischen, die an xenophoben, chauvinistischen und sexistischen Weltbildern festhalten und allen Menschen außer weißen Christen das Recht auf Partizipation absprechen.

Unser Gesellschaftsbild ist kein “multi-kulti” im Sinne von Parallelgesellschaften. Unser Gesellschaftsbild ist aber auch keine “Leitkultur” im Sinne von Bierzelt statt Halal oder Kirchturm statt Minarett. Unsere Leitkultur ist die pluralistische Moderne, in der alle Menschen in einem Land gleichberechtigt miteinander das Zusammenleben gestalten können.

 

Wir wünschen uns einen breiten, öffentlichen Diskurs darüber, wo die wahren Ursachen für diesen globalen Konflikt liegen – jenseits von Naivität, Xenophobie und “Pragmatismus”.

Wie können kurz-, mittel- und langfristige Lösungsszenarien ausschauen, die uns nicht gleich auf den Kopf fallen oder das Problem ohnehin nur verschieben?

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